Verkehrsexperte: Stadtbahn aufgrund exorbitanter Kosten nicht realisierbar !
Sicherlich wäre eine Stadtbahn für Osnabrück in jeder Hinsicht eine verkehrsplanerische Bereicherung – insoweit stimme ich mit den Stadtbahn-Befürwortern überein. Jedoch erscheinen die Realisierungschancen allein angesichts exorbitant hoher Kosten für die Primärinvestitionen als sehr gering: Seriösen Schätzungen zufolge belaufen sich allein die Primärinvestitionen für ein Strecken-Grundnetz für drei Durchmesserlinien, den erforderlichen Betriebshof und die Fahrzeuge auf rd. 380 Mio. € (Lindschulte-Gutachten). Staatliche Zuschüsse (z. B. GVFG-Mittel) für den Bau von Stadtbahnen werden in Deutschland i. d. R. nur dann gewährt, wenn eine Stadtbahn auf durchgängig eigener Trasse realisiert werden kann. Das erscheint zumindest in den Straßenräumen oder im Umfeld potenziell betroffener Ausfallstraßen Osnabrücks als absolut unrealistisch. Ausnahmen – d. h. Finanzierung auch von Gleisen im Straßenraum ohne eigene Trasse – gelten nur für Erweiterungen bereits (oder noch) bestehender Straßenbahnnetze, wie z. B. in Bielefeld.
Auch eine – u. a. aus Gründen der Baukosten-Minimierung postulierte abschnittsweise Mitbenutzung vorhandener Bahntrassen (nach Karlsruher Muster) – erscheint im Raum OS ebenfalls als kaum machbar. Denn die potenziell in Frage kommenden Eisenbahnstrecken Löhne – Rheine (Ost – West) und Bremen – Dortmund (Nord – Süd) befinden sich schon heute an ihrer Kapazitätsgrenze. Außerdem würde dies eine Normalspur-Stadtbahn (Spurweite 1,435 m) bedingen, was die Kosten in die Höhe treiben würde und in Städten der Größenordnung der Stadt Osnabrück daher unüblich ist: (in solchen Städten normal: 1,00 m oder 1,10 m Spurweite). Das Karlsruher Modell, wo eine Nebenstrecke in den Schwarzwald bis nach Freudenstadt zur Stadtbahnstrecke umfunktioniert wurde, ist auf Osnabrücker Verhältnisse in keiner Weise übertragbar. Und die Bahnstrecke nach Bielefeld (Haller Willem) weist bereits eine gute Bedienungsfrequenz und eine hohe Nachfrage auf, bedarf somit keiner Ergänzung durch einen Stadtbahn-Betrieb.
Zudem sind die netztopologischen Voraussetzungen für ein gemeindeübergreifendes Stadtbahnnetz im Raum Osnabrück außerordentlich ungünstig: Stadtbahnen werden als Hauptverkehrsträger des ÖPNV i. d. R. als Radial- oder Durchmesserlinien konzipiert , die ggf. mit tangential verlaufenden Buslinien zu einem ÖPNV-Gesamtnetz verknüpft werden. Hierfür sind bandförmige (wie z. B. Wuppertal) oder sternförmige (wie z. B. Hamburg) Siedlungs-Agglomerationen besonders günstig. Die polyzentrische Siedlungsstruktur im Raum Osnabrück mit ihren Nachbarstädten bzw. Randgemeinden GM-Hütte, Lotte, Wallenhorst, Belm und Bissdorf – die zusammen rd. 120.000 Einwohner und ein entsprechend großes Fahrgastpotenzial aufweisen – steht jedoch einer effizienten räumlichen Erschließung eines Stadtbahnnetzes diametral entgegen. Zumal diese Nachbarstädte bzw. Randgemeinden auch innerhalb ihrer jeweiligen Gemeindegrenzen polyzentrisch strukturiert sind und jeweils mehrere räumlich getrennte Ortsteile aufweisen.
Diese Nachbarstädte bzw. Randgemeinden müssten jedoch möglichst direkt an ein Stadtbahnnetz angeschlossen werden. Andernfalls drohte an den Stadtgrenzen ein sog. „gebrochener Verkehr“, d. h. Umsteigen von Bus auf Stadtbahn bzw. umgekehrt, was den ÖPNV wg. dann deutlich längerer Reisezeiten und Abhängigkeiten von zwei aufeinander abzustimmenden Fahrplänen für auswärtige Fahrgäste unattraktiv machen würde. Oder – wenn die Regionalbusse dann nicht nur bis zu den Stadtbahn-Stationen an der Stadtgrenze, sondern weiterhin bis in das Stadtzentrum durchfahren – würde dies zu unwirtschaftlichen ÖPNV-Parallelverkehren führen.
Somit ist fraglich, ob unter diesen Prämissen – auch unter Berücksichtigung des bei Stadtbahnen zu erwartenden höheren Fahrgastaufkommens – ein für die Zuschussbewilligung erforderlicher Nutzen-Kosten-Quotient von größer 1,0 überhaupt erreichbar ist.
Reimer Thiessen, Verkehrsplaner / Dipl.-Ing. (TU)